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4.4 Bewertung Bausubstanz






4.4.1 Grundlagen zur Vorgehensweise

Arbeitsschritte bei der Bewertung der Bausubstanz

Unabhängig davon, ob es sich um einen Komplettrückbau, eine Baufeldfreimachung oder um Baumaßnahmen im Bestand handelt, sind die erforderlichen Leistungen zur Bewertung der Bausubstanz inhaltlich gleich. Für eine effektive Planung der Rückbaumaßnahme insbesondere im Hinblick auf die Erfassung, Bilanzierung und Entsorgung der anfallenden Bauabfallmengen sowie der Wiederverwendung von Bauteilen ist ein phasenweises Vorgehen unabdingbar. Folgende Arbeitsschritte werden unterschieden:

  • Bestandsaufnahme und Erstbewertung des Objektes (s. Anhang A-2.1)
  • Technische Untersuchung des Objektes (s. Anhang A-2.2)

Wie in den Abb. 4.3 und 4.4 dargestellt, kann sich die „Technische Untersuchung“ bei Bedarf in mehrere Schritte untergliedern. Je nach Aufgaben- und Fragestellung können orientierende und detaillierte „Technische Untersuchungen“ durchgeführt werden.


Vor der Bestandsaufnahme

Vor der „Bestandsaufnahme und Erstbewertung“ sind von Seiten des Auftraggebers folgende Punkte abzuarbeiten:

  • Klären und Dokumentieren der Aufgabenstellung
  • Objektbeschreibung, Eckdaten: Baujahr, Bruttogeschossfläche (BGF), Bruttorauminhalt (BRI), Nutzungen, Konstruktion etc.
  • Zusammenstellung aller zum Objekt gehörenden Unterlagen, wie


  • Bestandspläne
  • Katasterpläne
  • Schnitte und Detailpläne zur Bausubstanz
  • TGA, Ver- und Entsorgungsinfrastruktur
  • Statische und bauphysikalische Berechnungen
  • Wartungs- und Nutzungsdokumentationen
  • Unterlagen zu durchgeführten Baumaßnahmen
  • Bereits vorhandene Gutachten / technische Untersuchungen / Sanierungsdokumentationen
  • Unterlagen zur historischen Nutzung (Altbestand etc.)
  • Hinweise zu besonderen Vorkommnissen (z. B. Brandschäden, Havarien etc.)

Ein Großteil der o. g. Informationen steht häufig in den ggf. EDV-gestützten Bestandsdokumentationen der örtlichen Bauverwaltungen zur Verfügung. Eine Bewertung der Unterlagen erfolgt dann im Rahmen der „Bestandsaufnahme und Erstbewertung“ (s. a. Anhang A-2.1).


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4.4.2 Bestandsaufnahme und Erstbewertung

Leistungen der Bestandsaufnahme

Die o. g. Daten bilden die Basis für die im Rahmen der Bestandsaufnahme und Erstbewertung in der Regel durchzuführenden folgenden Leistungen (s. Checkliste Anhang A-2.1.1):

  • Überprüfen der Vollständigkeit und Plausibilität der Unterlagen
  • Auswerten der Unterlagen hinsichtlich bestehender Risiken (Defizitanalyse)
  • Abgleich der vorhandenen Informationen mit den Objektrealitäten
  • Ortsbegehung(en) und Dokumentation von Abweichungen
  • Feststellen/Bewerten besonderer Objekteigenschaften, wie


  • Bauzustand
  • Konstruktion (Tragwerk)
  • Schadstoffe (baustoffimmanent, nutzungsbedingt oder anderweitig verursacht) unter Berücksichtigung der Fachdatenbanken des Bundes (z. B. LISA (Liegenschaftsinformationssystem Außenanlagen; www.lisa-bund.de)) und sonstiger Datenbanken (z. B. Gefahrstoffe, s. BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; www.baua.de) bzw. GESTIS (Gefahrstoffinformationssystem der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung; www.dguv.de/bgia/stoffdatenbank))


  • Erfassung der Randbedingungen (Betriebsabläufe, Zugänglichkeiten, Logistikflächen, angrenzende Nutzungen etc.)
  • Ggf. Ergänzung der vorhanden Unterlagen (z. B. Beschaffung von Plänen, historischen Dokumenten, Luftbildern etc.)
  • Überschlägige Erfassung potenzieller Baustoffe sowie von Bauteilen und Einbauten zur Wiederverwendung
  • Formulierung von Entscheidungshilfen zur Einbindung weiterer Fachplaner für Tragwerk, Technische Gebäudeausrüstung (TGA), Brandschutz etc.
  • Überschlägige Einstufung der Abfallarten und -mengen, soweit identifizierbar inkl. Kostenüberschlag gemäß Anhang A-2.1.5 für Rückbau und Entsorgung
  • Erarbeitung eines Konzeptes für die technische Untersuchung (s. Anhang A-2.1.3) einschließlich Aufstellen der erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen (soweit erforderlich)

Die Ergebnisse sind in einer Dokumentation darzulegen (s. Hinweise Anhang A-2.1.4). Wichtige gebäudebezogene Daten sind in Bestandsdokumentationen der Bauverwaltung zu ergänzen bzw. im Datenblatt für bauliche Anlagen (s. Formular Anhang A-2.1.2) zu erfassen.


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4.4.3 Technische Untersuchung

Ziele

Die „Technische Untersuchung“ hat zum Ziel, Schadstoffe zu identifizieren und im Hinblick auf den Rückbau bzw. die weitere Nutzung des Objektes zu bewerten. Darüber hinaus soll eine Abschätzung der im Zuge der Rückbaumaßnahmen anfallenden Abfallmengen (Abfallkataster) erfolgen.


Leistungen der technischen Untersuchung

Die technische Untersuchung umfasst in der Regel folgende Leistungen (s. Anhang A-2.2.1):

  • Prüfen des Untersuchungskonzeptes aus der „Bestandsaufnahme und Erstbewertung“ und ggf. Ergänzung/Korrektur
  • Festlegen der Probennahmepunkte im Objekt und des Analyseumfangs
  • Abstimmung der relevanten Arbeitsschutzmaßnahmen
  • Bei Vergabe der technischen Untersuchung an Dritte:


  • Vorbereiten der Vergabe,
  • Erstellen der Verdingungsunterlagen (s. Leistungstitel und technische Spezifikationen in Anhang A-2.2) sowie Erstellung der Leistungsbeschreibung und ggf. eines Mustervertrages (soweit vom Auftraggeber nicht selbst erstellt),
  • Angebotseinholung, Auswertung, Vergabeempfehlung,
  • Koordination und Überwachung der Leistungen Dritter


  • Durchführung der Beprobung, ggf. in mehreren Arbeitsschritten (s. Hinweise Anhang A-2.2.2)
  • Durchführung von Vermessungen / maßlicher Bestandsaufnahme zur Mengenermittlung
  • Durchführung der Analytik
  • Auswertung der Ergebnisse
  • Aufstellen des Schadstoff- bzw. Abfallkatasters einschließlich Mengenbilanzierung
  • Schadstoffbezogene Risikoanalyse und Vorschlag zum weiteren Vorgehen (z. B. Sanierung)
  • Einarbeitung von Informationen eingeschalteter Fachplaner (Tragwerk, TGA, Brandschutz etc.)
  • Hinweise zur Arbeitssicherheit für Folgemaßnahmen
  • Kostenermittlung Rückbau und Entsorgung (s. Arbeitsblatt Anhang A-2.2.5)
  • Empfehlungen zum weiteren Vorgehen
  • Dokumentation der Untersuchungen (s. Hinweise Anhang A-2.2.3)


Vorgehensweise

Je nach Komplexität des Rückbauobjektes kann die „Technische Untersuchung“ in mehreren Schritten erfolgen. Gerade bei Maßnahmen im Bestand ist zunächst eine orientierende Untersuchung (stichprobenartige Prüfung) und überschlägige Mengen- und Kostenschätzung hilfreich, um die Wirtschaftlichkeit der Nutzungsabsichten im Ganzen überprüfen zu können. Die Kostenschätzung kann jedoch auf Basis der dann vorliegenden Daten i. d. R. noch nicht Sonderkosten, wie z. B. den Einsatz von Spezialbauverfahren, berücksichtigen. Diese sind erst im weiteren Planungsprozess greifbar.


Schadstoffe in Bauwerken

Schadstoffe in Gebäuden, Bauwerken und technischen Anlagen können durch verschiedene Ursachen in die Bausubstanz gekommen sein. Danach kann grundsätzlich zwischen drei Gruppen unterschieden werden (s. Tab. 4.2 und Liste in Anhang A-3).


Tab. 4.2 Schadstoffe in Bauwerken (s. a. Abb. 4.5, 4.6)

Ursache

Beschreibung/Definition

Beispiele

Baustoff-immanent

 

Schadstoffe, die in der Herstellung von Bauprodukten, Baustoffen und Einbauten vorliegen. In der Regel sind diese als Zuschlagsstoff oder als natürlicher Grundstoff enthalten.

Asbestzementplatten, asbesthaltige Rohrdurchführungen, PCB-haltige Fugendichtungen, PCP-haltige Holzkonstruktionen, Chromhaltige Mörtel/Betone, PAK-haltige Parkettkleber, Schwermetalle in Wandanstrichen, PAK-haltige Straßenbeläge, asbesthaltige oder PAK-haltige Rohr- und Tankummantelungen im Außenbereich, Putze, Spachtelmassen, Fliesenkleber etc.

Nutzungs-bedingt

 

Schadstoffe, die durch die objektspezifische Nutzung in die Bausubstanz bzw. Einbauten gelangt sind.

MKW-/BTEX-Verunreinigungen im Werkstattbereich, PAK-haltiger Ruß (Heizungsbetrieb), Lagerung und Verwendung von Chemikalien (Säuren/Lösungsmitteln), Ablagerungen in Rohrleitungen etc.

Umwelt-bedingt

Schadstoffe, die über die Luft als Gas, Aerosol oder Staub sowie über die Fauna eingetragen werden. Mikrobiologische Schädigungen durch Baumängel.

Schwermetalle, Benzole, PAK als Anhaftungen bzw. durch Eindringen in Wände/Fassaden, Taubenkot, Schimmelpilze, Hausschwamm etc.

Sonderfälle: z. B. Brand-schäden

Schadstoffe, die durch einen Brandschaden in Brandabfälle bzw. Brandrückstände gelangt sind.

Brandrückstände wie Asche und Ruß, mit einer Vielzahl an toxischen Stoffen (z. B. PAK, Dioxine/Furane)


Probenahme der Bausubstanz

Unabhängig von der Herkunft der Schadstoffe sind die möglicherweise belasteten Bauteile/Baustoffe und Einbauten (s. Abb. 4.5, 4.6) zu erfassen bzw. technisch zu untersuchen.

Die Probennahme erfolgt in der Regel durch

  • die Gewinnung von Bohrkernen (z. B. Deckenaufbauten, Fußböden, tragende Konstruktion aus Beton),
  • Abklopfen, Abschlagen, Ausstanzen, Abstemmen (z. B. Mauerwerk, Wand-/Deckenverkleidungen),
  • Abspitzen (z. B. Holzteile, Dachstuhl, Flachdachaufbauten),
  • Auskratzen (z. B. Fugen, Flanschdichtungen),
  • Abwischen (z. B. Ruß, Feinstaub, Taubenkot),
  • Raumluftproben (z. B. Sporen, Keime, luftgetragene Fasern).


Abb. 4.5: Mögliche Vorkommen von Schadstoffen in Baustoffen/Bauteilen in Außenanlagen


Der Einsatz der einzelnen Techniken richtet sich nach der Beschaffenheit des Gebäudes und den vermuteten Schadstoffen (s. Anhang A-2.2.3). Im Anhang A-3 bzw. im Literaturverzeichnis (Anhang A-9) wird auf weitere Handlungs- und Planungshilfen verwiesen.

Die technischen Untersuchungen sind so auszulegen, dass ein repräsentatives Bild über die Belastungssituation sowie eine verlässliche Mengenbilanz erstellt werden kann. Die Durchführung der technischen Untersuchung richtet sich nach den Arten und Mengen der verwendeten Bauteile und Einbauten sowie den jeweiligen Nutzungscharakteristiken. Vergleichbare Objekte bzw. Objektabschnitte können in der Regel stichprobenartig überprüft werden.

Abb. 4.6: Mögliche Vorkommen von Schadstoffen in Bauteilen und Einbauten in Gebäuden


Schadstoffhaltige Bauteile

Sind potenziell schadstoffhaltige Bauteile/Einbauten eindeutig identifizierbar, so kann auf eine Beprobung verzichtet werden. Es ist jedoch darauf zu achten, dass eine Benennung in Art und Anzahl in der Mengenbilanz erfolgen muss. Beispiele hierfür sind

  • Brandschutztüren
  • Rauchgasklappen
  • Leuchtstofflampen
  • Dacheindeckungen/Wandverkleidungen (AZ-Platten)


Problembereiche

In der Regel ist davon auszugehen, dass in den meisten Objekten auch bei einer umfangreichen Datengrundlage nicht alle Bauteile/Einbauten zugänglich sind oder zumindest erkannt werden können. Problembereiche bilden hierbei z. B.:

  • Vorgehängte Fassaden
  • Abgehängte Decken
  • Verkleidete Wände (vorgesetzte Wände)
  • Überbaute, verfüllte Kellerbereiche

Im Zweifelsfall ist darüber zu entscheiden, ob mittels einer Gebäudevermessung und einer Plausibilitätsprüfung mit vorhandenen Planunterlagen entsprechende Defizitbereiche identifizierbar sind.


Aussagesicherheit

Selbst bei einer detaillierten technischen Untersuchung können aufgrund der Vielzahl von Einflussfaktoren (z. B. eingesetzte Materialien, Zugänglichkeiten, Vorinformationen zur Nutzung) keine 100%-igen Aussagen zum Schadstoffpotenzial und zu den Abfallarten sowie Mengen getroffen werden. Unsicherheiten sind in Kauf zu nehmen, da eine vollständige Untersuchung unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit bzw. Angemessenheit nicht vertretbar ist.


Brandschäden

Sind aufgrund von Brandschäden Rückbaumaßnahmen durchzuführen, sind folgende Besonderheiten zu beachten.

In Abhängigkeit von den Brandbedingungen und den am Brand beteiligten Materialien entstehen durch thermische Umsetzungsprozesse Schadstoffe bzw. Brandrückstände wie z. B. Kohlenmonoxid (CO), Ruß, Salzsäure (HCl) oder Blausäure (HCN). Darüber hinaus kann auch das Umfeld des eigentlichen Brandherdes z. B. durch die Ausbreitung von Brandgasen und die thermodynamische Verfrachtung von Rußpartikeln mit Schadstoffen beaufschlagt werden.

Durch die Verwendung unterschiedlichster Baumaterialien und -produkte (z. B. Kunststoffe, Farben/Lacke, Verbundwerkstoffe etc.) ist davon auszugehen, dass hochtoxische Stoffe wie Dioxine und Furane, aber auch PAK und andere im Brandfall gebildete organische Schadstoffe nur dort nachweisbar sind, wo Brandrückstände in Form von Ruß- bzw. Staubniederschlag vorliegen, da diese Stoffe in der Regel sehr stark adsorptiv von Ruß gebunden werden.

Zudem treten bei Brandereignissen häufig Folgeschäden durch den Einsatz von Löschwasser bzw. Löschmitteln auf (kontaminiertes Löschwasser/-mittel; Auslaugung von Schadstoffen, Korrosion).

Die in Kap. 4.4.3 genannten Probennahmetechniken sind grundsätzlich auch bei Brandschäden anzuwenden. Die Rußniederschläge werden häufig mittels lösemittelgetränkter Glasfaservliese beprobt (Wischprobe). Das Lösemittel ist stoffspezifisch auszuwählen. Bei Arbeiten in derartigen Bereichen sind spezielle Arbeitsschutzmaßnahmen zu beachten.

Bei der Beseitigung der Brandabfälle richtet sich der Beseitigungsweg immer nach den Gefährdungen, die von dem Brandschutt ausgehen. Brandschutt mit gefährlichen Substanzen ist als gefährlicher Abfall einzustufen (AVV-Nr. 17 09 03*).

Eine wertvolle Handlungshilfe zur Brandschadensanierung ist die von der Versicherungswirtschaft herausgegebene „Richtlinie zur Brandschadensanierung“ (VdS 2357).


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